Im Stadtarchiv Gießen

„Wir sind das kulturelle Gedächtnis der Stadt“

„Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu geben, bleibt im Dunkeln unerfahren, mag von Tag zu Tage leben.“ J.W. Goethe

Zum internationalen Tag der Archive am 9. Juni spricht Christian Pöpken über seine Arbeit. Der 41-Jährige leitet seit anderthalb Jahren das Gießener Stadtarchiv.
Wer zum Gießener Stadtarchiv möchte muss im Rathaus nach ganz oben fahren. Im vierten Stock haben die Mitarbeitenden um Stadtarchivar Christian Pöpken ihre Büros, auch der Lesesaal für die interessierte Öffentlichkeit ist dort untergebracht. Im Büro des Stadtarchivars stapeln sich Bücher, Aktenordner und Fotoalben: Wissen und Geschichte ordnen, sortieren, archivieren und für andere zugänglich machen. Dies ist Christian Pöpkens täglich Brot und er macht es gerne.

Von Geschichte fasziniert ist Christian Pöpken bereits seit seiner Schulzeit im niedersächsischen Oldenburg. „Geschichte ist wie ein großes Puzzle, das sich immer mehr vor einem aufbaut und zu einem großen Ganzen zusammensetzt, je intensiver man sich damit beschäftigt.“ Die Erkenntnisse in welchen histori-schen Kontexten sich beispielsweise Gesellschaft und Stadt bewegen, haben natürlich auch immer einen spannenden Gegenwartsbezug, sagt er.

Zum Studium zieht Pöpken ins mittelhessische Marburg. Sein Ziel, Archivar zu werden, hat er schon bald fest im Blick. „Es ist einfach faszinierend, mit Originaldokumenten zu arbeiten, im Studium hat man leider kaum Gelegenheit dazu.“ Nach dem Studium schließt er seine Promotion an und arbeitet zunächst am Institut für westfälische Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in Münster. Sein Referendariat für den höheren Archivdienst führt den Niedersachsen wieder zum Staatsarchiv nach Marburg. Als der damalige Gießener Stadtarchivar Ludwig Brake in den Ruhestand geht, erhält Pöpken die Stelle.

 

Breitgefächertes Aufgabenspektrum

Die Aufgaben des Stadtarchivs sind breit gefächert. „Zum einen sind wir natürlich Dienstleister für die Stadtverwaltung“, erzählt Pöpken. Seit mehr als 400 Jahren würden in der Stadt Akten gebildet. Daneben sollen aber auch Dokumente, die die Zeitgeschichte darstellen, für die Nachwelt erhalten bleiben. Die Mitarbeiter des Stadtarchivs entscheiden und bewerten also mit, welche Akten der einzelnen Ämter ins Archiv wandern. Aktuell und in Zukunft ist auch die Digitalisierung von analogen Unterlagen ein Thema, mit dem sich das Stadtarchiv auseinandersetzen muss. Zudem steht die Transformation der städtischen Schriftgutverwaltung an: Die digitale E-Akte ist auf dem Vormarsch. „Wir kehren damit wieder zur Struktur eines einheitlichen Aktenplans zurück“, so Pöpken

Die Archivare sorgen ebenfalls dafür, dass historische Bestände wie Urkunden und Amtsbücher in gutem Zustand erhalten bleiben. „Handwerkliche Arbeit wie Konservierungsmaßnahmen, richtige Lagerung und Verpackung von alten Urkunden, Karten und Folianten gehört auch zu den Aufgaben des Archivars“, so Pöpken. Das Archiv ist auch ein Ort für die historische Forschung, die jedem Interessierten offen stehen soll. „Jeder hat das Recht auf historisches Wissen“, sagt Pöpken. „Wir verstehen uns als das kulturelle Gedächtnis der Stadt“, fasst er die Aufgabenbereiche des Archivs zusammen.

 

Älteste historische Urkunde ist Fälschung

Natürlich lagern auch historische Schätze im Magazin des Archivs „Unsere älteste Urkunde stammt aus der Zeit um 1285“, erzählt Pöpken. Ein Augustinerchorherr brachte den lateinischen Text in gotischer Buchschrift zu Pergament. „Heikel an der ganzen Sache ist, dass in der Urkunde behauptet wird, sie stamme aus dem Jahr 1235 und sei von Graf Wilhelm von Tübingen, dem damaligen Gießener Stadtherren, ausgestellt worden.“ Die Urkunde ist also eine Fälschung, aber nichtsdestotrotz das älteste Zeugnis der Stadt, welches das Stadtarchiv aufbewahrt und zwar mit Stolz.

Gießen kann Pöpken nur Positives abgewinnen. „Die Stadt hat eine faszinierende Geschichte: Wir haben hier eine große Vielfalt an interessanten historischen Begebenheiten in überschaubaren Verhältnissen.“ Besonders freut es ihn, welch großes Interesse die Gießenerinnen und Gießener selbst an der Geschichte ihrer Stadt haben. Es seien nicht nur Studierende, Forschende oder Schülergruppen, die sich auf historische Spurensuche begeben. „Auch viele geschichtsinteressierte Bürgerinnen und Bürger nutzen das Stadtarchiv für eigene Forschungen und Fragestellungen.“

Auf die Frage, welche historische Person der Stadtarchivar gerne persönlich getroffen hätte, muss Pöpken nur kurz überlegen. „Georg Büchner wäre ich gerne begegnet. Zeitzeugen haben von der flammenden Rede gesprochen, die Büchner auf der Badenburg gehalten haben soll. Da wäre ich gerne dabei gewesen.“


Schlagworte: Bücher, Geschichte, Gießen, Stadtarchiv, Stadtarchiv Gießen
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