Datum/Zeit
10.06.2017 - 15.07.2017
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Neuer Kunstverein Gießen e.V.
Ecke Licher Straße / Nahrungsberg
35394 Gießen
Installative Arbeiten von Nicola Schudy
Eröffnung: Samstag, 10. Juni 2017, 18 Uhr
Dauer: 10. Juni bis 15. Juli 2017
Öffnungszeiten: Samstag 14 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung (Tel. 0641 – 250 94 44 und 0174 – 342 99 66)
Künstlergespräch mit Nicola Schudy zum Abschluss der Ausstellung am 15.07. um 16 Uhr
Nicola Schudy (* 1968, lebt in Köln) entwickelt ihre installativen Arbeiten aus und für den jeweiligen Ort. Dabei ist das persönliche atmosphärische Erleben der Raumsituation ebenso Quelle wie die Beschäftigung mit dessen Geschichte, Funktion und architektonischen Besonderheiten.
„Die charakteristischen, prägenden Gegebenheiten von Orten und Räumen erfahren durch Schudys bildnerische Vorstellungskraft irritierende, verunsichernde, zuweilen verstörende Fortschreibungen. Sie sind konsequent abgeleitet von den Dingen, die man in unserer vom Menschen gestalteten Lebenswelt antrifft und die einen immer wieder staunen lassen.“ (Kay v. Keitz)
Raumchimären
von Kay von Keitz, Köln
Im Grunde ist Nicola Schudy eine Raum-Ethnologin. Bevor sie mit ihrer eigentlichen künstlerischen Arbeit beginnt, untersucht sie den Ort, um den es geht, zunächst intensiv auf dessen spezifische Eigenschaften und Eigenheiten hin und unterzieht ihn aus verschiedenen Blickwinkeln einer modellhaften Betrachtung. Äußerst sensibel erfasst und analysiert sie dabei die architektonischen wie die atmosphärischen Verhältnisse und extrahiert daraus die für sie entscheidenden Momente einer räumlichen Situation. Diese werden dann fokussiert und gleichsam herangezoomt, um sie zum Gegenstand eines skulpturalen Weiterspinnens, eines installativen Fabulierens zu machen. Die charakteristischen, prägenden Gegebenheiten von Orten und Räumen mit ihren jeweiligen Proportionen, Formen, Strukturen, Oberflächen, Materialien und besonderen Details erfahren durch Schudys bildnerische Vorstellungskraft irritierende, verunsichernde, zuweilen verstörende Fortschreibungen. Sie sind konsequent abgeleitet von den Dingen, die man in unserer vom Menschen gestalteten Lebenswelt antrifft und die einen immer wieder staunen lassen. Manchmal ist dieses Staunen der Beglückung geschuldet, oft genug jedoch der Fassungslosigkeit.
Schudy reagiert auf diese Weltgestaltungsphänomene mit Interpretationen und Phantasien, die an Chimären erinnern, von denen wir bei fiebrigen Bewusstseinszuständen heimgesucht werden. Das kann bis zu grotesk anmutenden Material- und Objektmutationen im surrealen Grenzbereich führen. Sie erwecken den Eindruck, der betreffende Raum sei unbekannten Kräften ausgesetzt oder einige der baulichen und gestalterischen Elemente dort hätten womöglich ein beunruhigendes Eigenleben entwickelt: Fliesen und Furniere, Blechprofile und Kunststoffpaneele, Parkettböden und Tapeten scheinen zu wuchern, sich auszubreiten, Flächen und Volumen zu erobern, sind aufgebrochen, zersplittert, ins Fallen oder Kippen geraten. Die bislang „friedlichen“ und einigermaßen verlässlichen Komponenten in unserer direkten architektonischen Umgebung haben sich anscheinend auf unkontrollierbare Weise verändert – und damit natürlich auch den gesamten realexistierenden Raum, dem sie entstammen oder entstammen könnten. Dass Schudy hierbei sowohl Originalmaterialien wie auch an Kulissenbau erinnernde „Nachahmungen“ verwendet, verstärkt noch die Wirkung einer irreal erscheinenden Differenz. Zugleich aber ist es ein deutlicher Hinweis, dass es ihr keineswegs um ein illusionäres Effektspektakel geht, sondern um ganz bewusst „artifiziell“ gehaltene Bilder zu und in architektonischen Zusammenhängen – sei es als Zeichnung, als dreidimensionale Miniatur oder als raumgreifende skulpturale Installation.
In diesen Raumbildern gibt es nichts zu dechiffrieren, keine konkrete Bedeutung zu entschlüsseln oder symbolistische Verrätselung zu lüften. Schudy führt uns in ein absurdes Theater der Dinge, in Bühnenbilder fiktiver Stücke, in Filmsets von Gegenwartsmärchen, deren eigentliches Figurenpersonal womöglich wir selbst sind. Mitunter sind es tragikomisch wirkende Szenerien, die auf skurrile Weise an die unseligen Konfrontationen des Menschen mit den Tücken der Objekte gemahnen, die aber auch Bedrohlichkeit evozieren können wie die vielen Varianten des Unheimlichen, die wir aus Literatur und Kino kennen. Bei allen ihren Arbeiten wird man von einem unwägbaren Dahinter berührt, begleitet von einer mal eher süßen, mal eher bitteren Tristesse, die Türgriffen, Jalousien, Teppichböden oder abgehängten Decken innewohnen kann. Insofern stehen ihre Räume, die nicht zuletzt von Verfall und Auflösung und damit vom Wissen um die Vergänglichkeit handeln, natürlich auch in der langen Tradition der Vanitas-Metaphern. Vermutlich ist es eine Frage des Typs und der persönlichen Verfassung, ob Nicola Schudys Werke einen auf merkwürdige Weise anrühren und sogar versöhnlich stimmen können, oder ob sie einen erst recht frösteln lassen in dieser fremden und seltsamen Welt, an der wir alle, ob wir wollen oder nicht, immer weiterbauen müssen.
Schlagworte: Ausstellungen