Datum/Zeit
27.09.2022
19:00
Unterer Hardthof
Paul-Zipp-Straße
35398 Gießen
Während der umbaubedingten Schließung ist die Kunsthalle Gießen zu Gast im Unteren Hardthof.
Zur vierten Performance-Veranstaltung im Rahmen der Reihe EXBODIMENT performen am Dienstag, 27. September 2022, 19 Uhr, die Künstler*innen Kurt Johannessen aus Norwegen und Sinéad O‘Donnell aus Nordirland live vor Publikum.
Sineád O’Donnell
Das Recht und die Freiheit, gehört zu werden, ist für die irische Performance-Künstlerin Sinéad O’Donnell (*1975, Dublin, Irland) keine Selbstverständlichkeit. Auf vielen Reisen erfuhr sie, wie lähmend Schweigen wirkt und welche Energie sich am gemeinsamen Dialog entzünden kann. Weltweit sucht die Künstlerin den engen Austausch mit Gemeinschaften verschiedener Kulturen und insbesondere mit dort lebenden Frauen. Sie teilt mit ihnen Geschichten, Ängste, Träume und Erfahrungen. Durch Begegnungen und Kollaborationen mit Künstler*innen vor Ort schafft O’Donnell in Ländern wie Indonesien, Argentinien, Thailand, Urugay, aber auch innerhalb Europas performativ Plattformen als gemeinsamen Sprache und Ermächtigung. Im Irak forderte sie mit den lokalen Künstlerinnen Dayra Kamal und Poshya Kakil in roter Schrift auf einer Glasplatte „Stoppt das Töten der Frauen“ oder „Wir brauchen Frieden“. Gemeinsam mit Kakil trug sie die fragile Scheibe durch die Zitadelle der Stadt, mal offensiv wie eine Reliquie, mal subtil nur mit den Fingerspitzen berührend oder statisch zwischen ihren Gesichtern gehalten. Aber auch in ihrer derzeitigen Heimatstadt Belfast setzte sie sich 2020 kritisch mit „Feminine Culture“ („weibliche Kultur“) auseinander, überzog ihren eigenen Körper mit dem Schriftzug „Kultur“, nutzte ihn als Leinwand und semiotische Schautafel.
Körperliche Normvorstellungen werden in vielen Bereichen konstruiert und Abweichungen oftmals negativ sanktioniert. Die persönliche Erfahrung, neurodivers in einer neurotypischen Welt zu sein– d. h. normabweichend aufgrund ‚atypischer‘ neurobiologischer Eigenschaften – ist ein weiteres Thema von Sinéad O’Donnells Performances. Selbst von diesem Thema berührt, brachte sie in dem Projekt CAUTION für die Kulturolympiade in London 2012 sechs Künstler*innen aus verschiedenen Kontinenten zusammen, um in öffentlichen Performances den Diskurs über unsichtbare körperliche Beeinträchtigungen neu zu gestalten wie z.B. Legasthenie.
Kurt Johannessen
Was ist das Gewicht von Staub? Und wie viel Staub befindet sich eigentlich auf dem Boden während einer Galerieeröffnung? Seit den 1980er Jahren entwickelt der norwegischKünstler Kurt Johannessen Performances, in der er sich mit minutiöser Aufmerksamkeit ebenso übersehenen wie gewaltigen Dingen widmet, von denen die Menschen tagtäglich umgeben sind. So wanderte er 2017, im Schein einer einzigen Lampe, in völliger Dunkelheit auf einen Kohleberg nahe der heute verlassenen russische Bergbausiedlung „Pyramiden“, die sich auf der antarktischen Inselgruppe Spitzbergen befindet. Was bedeutet die Zeit eines einzelnen Menschen im Verhältnis von Unendlichkeit? Mit stoischer Beharrlichkeit setzt sich Kurt Johannessen seit den 1980er Jahren immer wieder den Elementen aus, versinkt mit absoluter Hingabe in Schlamm oder Regen. Viele Performances des norwegischen Künstlers suchen die spezifische Qualität dieser unmittelbaren Konfrontation, des „von Angesicht zu Angesicht“ zwischen dem Selbst, den Dingen und der Welt. Ein Stein, ein Grashalm, Regen und sämtliche Details die uns umgeben, werden von Johannessen in einer Art und Weise in Performances betrachtet und reflektiert, die das eigene Sehen wandeln. In seinen behutsamen, mitunter minimalen Berührungen verdichtet sich die Relation von Mensch und Natur zu einem mikroskopischen Bild, das nachhallt.
Dass Johannessen im kleinen Format zu brillieren weiß, beweisen ebenfalls seine Künstlerbücher, von denen seit 1985 inzwischen über 100 entstanden sind. Sie beruhen auf Wortspielen, Zeichnungen oder Fotografien, erzählen in wenigen Sätzen abstrus-surreale, humorvolle Geschichten oder beharren auf einem Satz mit variierenden Illustrationen. In den Büchern lotet Johannessen aus, wie viel wenig braucht und wie wenig viel sein kann. Er faltet den Makro- in den Mikrokosmos, stülpt das Kleinste ins Größte und nimmt das in den Künstlerbüchern Entwickelte wiederum in seine Performances auf.
Schlagworte: Exbodiment, Kunsthalle, Performance, Unterer Hardthof